Weihnachtsbotschaft von Stephan Ackermann, Bischof von Trier

Weihnachten, 2023

Jes 52,7-10/ Hebr 1,1-6/ Joh 1,1-18

Für mein Gefühl prallen in diesem Jahr die Realität unserer Welt und die Botschaft von Weihnachten besonders krass aufeinander: Das liegt natürlich vor allem daran, dass ausgerechnet das Stückchen Erde, auf dem Jesus zur Welt kam und Engel den Frieden auf Erden verkündeten, von Terror und Krieg zerfurcht wird. Zwar gehört der Nahostkonflikt zu den Dauerkonfliktherden dieser Erde, doch durch die menschenverachtenden Anschläge der Hamas vom 7. Oktober erlebt dieser Konflikt eine Eskalation, die ihresgleichen sucht.

Man kann den Namen Bethlehem, der in den weihnachtlichen Tagen so oft genannt und besungen wird, nicht hören, ohne an die Menschen zu denken, die heute dort leben. Gerade die Christen sind dort in einer besonders schwierigen Situation. Sie können weder zur Arbeit ins abgesperrte Jerusalem fahren, noch haben sie Einnahmen aus dem Pilgertourismus, da die ausländischen Gäste komplett ausbleiben. Dann sind da noch alle anderen Brennpunkte unserer Erde: Der Ukraine-Krieg, der sich nun schon in den zweiten Winter erstreckt, der Kampf gegen die Erderwärmung, die Herausforderung durch die verschiedenen Flüchtlingsbewegungen, ein verstärkter Antisemitismus und Rechtspopulismus …

Und: Jeder von uns mag die Belastungen und Ängste des eigenen Lebens und Umfelds hinzulegen. Die Welt, in der wir leben, scheint im kompletten Widerspruch zu dem zu stehen, was die Weihnachtsbotschaft verkündet: Freudenboten, die den Frieden ankündigen, wie es eben in der Lesung aus dem Propheten Jesaja hieß (52,7). Auch der Jubel des Antwortgesangs darüber, dass alle Enden der Erde Gottes Heil schauen, mag uns doch reichlich übertrieben vorkommen. Dafür gibt es zu viele Ecken und „Enden dieser Erde“, in denen sich Gewalt, Unheil und Tod fest eingerichtet haben. Der eklatante Widerspruch zwischen unserer Realität und der weihnachtlichen Botschaft lässt sich nicht leugnen.

Aber – kann man diese Tatsache nicht auch einmal von der anderen Seite, von der Seite Gottes her sehen? Was meine ich damit? Nach unserer Lesart widerspricht die Welt der Botschaft von Weihnachten. Und das stimmt. Aber gilt nicht auch das Umgekehrte: Die Botschaft von Weihnachten widerspricht unserer Welt und unserem Verhalten. Sie ist Gottes Widerspruch zu dieser Welt. Gott legt Widerspruch ein gegen die herrschenden Verhältnisse, mit denen wir uns schon so lange arrangiert haben. Gott aber gibt sich damit nicht zufrieden. Er erhebt an Weihnachten Einspruch gegen die Welt, wie sie ist. Sie war auch damals, vor 2.000 Jahren, keine heile Welt, sondern eine Bischöfliches Generalvikariat, Stabsstelle Kommunikation Postfach 1340 | 54203 Trier, Telefon 0651 7105-0, biptrier@bistum-trier.de Welt von Unterdrückung, Krieg, Sklaverei und Ausbeutung.

Gott wird nicht müde, Einspruch einzulegen gegen Leid und Unheil in dieser Welt. Er legt Einspruch ein mit seinem Wort, das von Anfang an bei ihm war. Es ist sein schöpferisches Wort, mit dem er gesprochen hat: „Es werde Licht! Es werde Leben auf dieser Erde!“ (vgl. Gen 1,3) Es ist das Wort des Bundes, den er mit Noah und Abraham und Mose geschlossen hat und das er nicht zurücknimmt. Weihnachten zeigt, dass Gott sich seinem Wort so verpflichtet fühlt, dass dieses Wort nicht nur gesprochenes Wort und mündliche Zusage bleibt, sondern Fleisch und Blut wird in Jesus von Nazaret (Joh 1,14). Jesus ist der fleischgewordene Einspruch Gottes in diese Welt. Davon ist auch der Hebräerbrief überzeugt. Wir haben es in der Lesung gehört: Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern (und Müttern) gesprochen durch die Propheten; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn. (Hebr 1,1-3)

Dieses Wort, das Gott gesprochen hat, der Einspruch, den er einlegt, ist kein Wort gegen das Leben, gegen die Welt. Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt (zugrunde) richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird, so wird der Evangelist Johannes später in seinem Evangelium sagen (3,17). Gottes Einspruch gegen die Welt, wie sie ist, ist ein Einspruch zugunsten des Lebens! Der Theologe und geistliche Schriftsteller Fulbert Steffensky hat sinngemäß einmal gesagt: Christlich leben heißt, mit Widersprüchen leben können. Im Licht der Weihnachtsbotschaft heißt das für mich, nicht nur die Widersprüche zu sehen, die die Welt gegen die Botschaft des Glaubens vorbringt, sondern vor allem auch den Widerspruch zu sehen, den Gott erhebt gegen die herrschenden Verhältnisse, die scheinbar so unabänderlich sind.

Als Christ mit Widersprüchen zu leben, heißt für mich, Gottes Widerspruch nicht zu überhören, ihn immer wieder zuzulassen – auch dann, wenn er mich selbst trifft. Denn als Glaubende sind wir davon überzeugt, dass der Einspruch Gottes nicht aus Lust an der Kritik und am Niedermachen geschieht, sondern aus Liebe. Liebe Schwestern und Brüder, in diesen Tagen geht unser Blick hier im Dom natürlich immer wieder auch zu unserer neuen Krippe. Ohne besonderen Schmuck, aber unübersehbar, steht sie hier vorne auf der Altarinsel.

Eine Besonderheit dieser Krippe haben aufmerksame Beobachter schon wahrgenommen: Das Kind liegt regelrecht quer auf dem Schoß von Maria. Eine Mutter, die die Krippe schon gesehen hat, hat mir gesagt: Ein Neugeborenes kann aus eigener Kraft seinen Kopf nicht so halten, wie dieses Kind das tut. Für mich steckt darin eine Botschaft des Südtiroler Künstlers Hubert Mussner: Hier geht es nicht darum, das Kind möglichst altersgerecht auf dem Schoß seiner Mutter darzustellen. Eher deutet sich hier schon der spätere Auftrag des Kindes an: Durch die Querlage auf dem Schoß seiner Mutter bildet das Kind zusammen mit der Mutter die Form eines Kreuzes. Das sagt mir: Dieses Kind wird die eingefahrenen Linien dieser Welt „durchkreuzen“ – bis zur Hingabe seines eigenen Lebens. Dieses Kind wird Einspruch erheben in dieser Welt, mehr noch: Es wird Gottes Einspruch sein; der Einspruch, der der Welt „Heil und Leben bringt“.